Das 57. Internationale Filmfestival Karlovy Vary in der Tschechischen Republik hat all meine Erwartungen übertroffen! Großartige Filme im Wettbewerb, ein architektonisches Wahrzeichen des Brutalismus als Location, Stars und Sternchen auf dem roten Teppich, fantastische Kolleg_innen in der Ökumenischen Jury (danke, Hermann Kocher und Hana Ducho!), in den anderen Juries und ein Festivalteam, das uns herzlich und wie eine Familie empfangen hat!
Unser Award der Ökumenischen Jury ging an „Blaga’s Lessons“ von Stephan Komandarev, eine bulgarisch-deutsche Co-Produktion, die uns aus wegen ihrer Hauptdarstellerin sehr überzeugt hat:
Nicht genug damit, dass eine 70-jährige Witwe ihr Geld sprichwörtlich über den Balkon Betrügern in die Hände wirft, die sie telefonisch unter Druck gesetzt haben. Der Frau fehlt nun auch das dringend benötigte Geld, um das Grabmal für ihren jüngst verstorbenen Ehemann und sich selbst zu finanzieren. Sie, die ihr Leben lang hart gekämpft hat, lässt dieses Ziel nicht aus den Augen und wird dabei selbst zur Täterin: In krimineller Weise fügt sie anderen zu, was sie erlebt hat. Bis zur allerletzten Minute des Films glauben wir Zuschauer_innen, dass die Protagonistin einen kathartischen Moment erlebt und ihre Taten bereut. Doch Blaga bleibt ihren starken Überzeugungen treu und scheint keine andere Wahl zu haben als unmoralisch zu handeln. Im Schicksal jener Frau spiegelt sich die Not vor allem alter Menschen im postkommunistischen bzw. marktwirtschaftlich-kapitalistischen Bulgarien, die zwischen Überlebenskampf, Korruption und Ausbeutung oft nicht mehr wissen, auf wen sie sich verlassen können. Gesteigert wird dies durch eine religiös motivierte Angst um das Seelenheil ihres Mannes. Dieser Film überzeugt die Jury, weil er das Verhältnis von individueller Verantwortung und gesellschaftlichen Normen mit einer Eindringlichkeit erzählt, die es uns schwer macht, der herausragend von Eli Skorcheva verkörperten Protagonistin Sympathie entgegenzubringen, und uns dennoch dazu bringt zu fragen, ob wir genau wie sie handeln würden.
Die Jury-Begründung, abrufbar unter https://www.inter-film.org/de/festivals/internationales-filmfestival-karlovy-vary-kviff/57-internationales-filmfestival-karlovy
Unsere lobende Erwähnung ging als „Citizen Saint“ aus Bulgarien, gedreht von der Regisseurin Tinatin Kajrishvili.
Herzlichen Glückwunsch an alle Gewinner_innen!